Sunday, November 25, 2007

Nostalgie im Kollektiv

- Kommentar von little D. -

Eines meiner morgendlichen Rituale an einem Sonntag ist das Surfen im Internet. Einstiegsseite ist stets Spiegel online. Wenn man mal zu müde zum Lesen ist, bietet Spiegel online auch Zusammenfassungen der neuesten Ereignisse, aber auch Informationen über allerlei interessante, unbedeutende Vorkommnisse in Videoform an. Heute morgen wurde meine sonntägliche Ruhe schon beim Anschauen des ersten Videos gestört.

Das Video findet Ihr hier.

Vom 23. - 25.11.2007 findet in Berlin die Ostpro statt. Das ist eine Messe auf der etwa 120 Unternehmen Ostprodukte präsentieren. Bekleidung, Kosmetika, Genussmittel, Porzellan, Spielwaren usw. V.a. aber werden kullinarische Besonderheiten aus der ehemaligen DDR angeboten. Auch 18 Jahre nach dem Mauerfall gibt es immer noch viele DDR-Produkte in Produktion (so etwa Knusperflocken, Bambina, Halloren Kugeln,...). Solche und andere Produkte, die das sehnsuchtvolle Herz der Ostrentner berühren, kann man dort erwerben. Der Ansturm ist groß, auffällig ist, dass nur ältere Leute auf der Ostpro anstehen (wenn man die Bilder des Spiegel-Videos als representativ interpretieren kann, was wir einfach mal tun).

Das allein bringt mein Gemüt noch nicht aus der Ruhe. Es waren vielmehr die Kommentare der befragten Herrschaften.

Spiegel-Reporterin Yasemin Yüksel (YY) fragte eine anstehende Dame: Bekommen sie denn jetzt in der vereinigten Bundesrepublik nicht genug zu essen?
Antwort (A): DOCH! Natürlich. Ist die Abwechslung.

Genau, denn im deutschen Schlaraffenland hat man ja nicht so viel Auswahl.

YY: Schmeckt der Osten jetzt besser als der Westen?
A (eine andere ältere Dame): Ja, natürlich! [...] Die Westwurst schmeckt nach nichts, auch die Schrippen [Brötchen] und Brot.
A (wieder eine andere ältere Dame): Man sieht auch noch Lungenhaschee hier. [...]

Genau. Da sind wir doch alle froh, dass unsere Berliner Ostrentner jetzt wieder glücklich sind und den alten guten Geschmack der Ostwurst genießen dürfen. Erzeugnisse ehemaliger volkseigener Betriebe haben Konjunktur.

Ein älterer Herr bringt es auf den Punkt: Das Traurige ist, dass die ehemaligen Ostprodukte nur im Osten verkauft werden und nicht im Westteil. Aber wir müssen die Westprodukte auch im Osten kaufen. Das ist ungerecht.

Das macht mich auch ganz traurig. Wie gut, dass wir uns noch alle daran erinnern, früher Westpakete an die Ostverwandten verschickt zu haben. Vor allem zu Weihnachten. Mit echtem Kaffee. Auch Dosenwurst war drin. Ist eigentlich überflüssig gewesen. Wenn unsere Eltern und Großeltern das gewußt hätten...

YY: Was war denn für sie besser früher im Osten?
A (ein älterer Herr, der gerade DDR-Duschgel [Dusch Dich Richtig] in zwei Varianten gekauft hat, einmal Variante Eine Hand wäscht die andere und das Luxusduschbad mit Erich): Die ganze Frage der Arbeit, Vollbeschäftigung, das Bildungssystem war besser.

Vor allem das Bildungssystem.

YY: Werden Sie denn gerne an die DDR erinnert?
A (wieder ein älterer Herr): Ja, auf jeden Fall, denn für mich sowieso, aber auch für Kinder und Enkel wäre Arbeit bis zur Rente gesichert gewesen. (Im Hintergrund zeigt der Regisseur ein schwarzen T-Shirt mit dem Aufdruck Freiheit ist Folter.)

Da haben wir im DDR-Unterricht vielleicht zu gut aufgepasst. Sicher hätte die DDR auch seine Enkel noch mit Arbeit versorgt. Vielleicht als Turner.

YY: Und für sie herrschte Meinungsfreiheit auch in der DDR?
A (derselbe Herr): Ja, kommt darauf an, was für eine Meinung.

Ja, kommt darauf an. Was ist schon ein bisschen Bespitzelung in einer Diktatur. Wir sind da zu empfindlich. Vielleicht haben wir in unserem nach-Wende-Bildungssystem, in dessen Genuss diese Rentner ja nicht mehr gekommen sind (ist ja auch nicht nötig), einfach alles falsch vermittelt bekommen. Wahrscheinlich war auch Florian Henckel von Donnersmark mit seiner Filmcrew auf einer ganz falschen Fährte und das "Leben der anderen" zeigt eben das Leben der anderen, jedenfalls nicht das in der DDR.

Für alle, die die Ostpro in Berlin verpasst haben, kein Grund zum Weinen: Vom 7.-9. Dezember findet sie noch einmal in Erfurt statt und vom 15.-16. Dezember in Stuttgart. Da kann Weihnachten kommen.

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